Simone Weinmann – Die Erinnerung an unbekannte Städte

Deutschland Anfang des 19. Jahrhunderts. Dörfliches Landleben, Kälte, karges Essen auf dem Tisch. Viele Kinder mit alttestamentarischen Vornamen, Gebete, Gottesfurcht. Dieser Roman führt einen unmittelbar in die Härte eines archaischen Familienlebens, man spürt die Entbehrung und die Fremdheit zwischen Eltern und Kindern.
Nathanael, dem 15-Jährigen, wird es verboten, länger in die Schule zu gehen. Er soll Priester werden und beim örtlichen Geistlichen in die Lehre gehen. Die gleichaltrige Vanessa ist die Aussenseiterin in der Dorfschule, ihr wird Verschlossenheit und Rohheit nachgesagt. Ludwig ist ihr Lehrer. Die Umstände haben ihn dazu gemacht, aber seine Leidenschaft gilt dem Programmieren. Programmieren? Wie zufällig fallen in die Dunkelheit des Textes Begriffe wie „Flatscreen“, „Mobiltelefon“ oder „Charterflug“, und die Leser*in erwischt sich dabei, sie wie helle Botschaften aus der Zukunft zu deuten.
Behutsam und raffiniert entfaltet Simone Weinmann die Situation ihres Romans: Wir schreiben das Jahr 2060, und vor 15 Jahren hat sich eine Katastrophe ereignet. Am „Tag Null“ verdunkelte sich weltweit die Sonne durch eine Staubschicht, und der Strom fiel für immer aus. Die tödlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen dieses Ereignisses werden erst langsam deutlich in dieser Erzählung, Beklommenheit weicht Bestürzung weicht gespannter Anteilnahme am Werdegang der drei Hauptfiguren, die nicht anders können, als ihr Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen.
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Ist es konsequent und richtig, dass die Menschheit dezimiert wurde durch die von ihr verursachte Umweltzerstörung? Würde man dem Kreis der Gläubigen angehören, die sich als Auserwählte wähnen, weil sie überlebt haben? Ist es ebenso folgerichtig, dass die Menschen fast unmittelbar nach ihrer „Niederlage“ versuchen, die Natur wieder zu beherrschen?
 
Die Erinnerung an unbekannte Städte ist keine überhöhte Dystopie, die einem Gleichgültigkeit erlaubt, sondern ein verdammt eindrucksvoller, zu denken gebender Roman.