Mario Desiati – Spatriati

Es ist der Ehebruch ihrer Eltern, der die Beziehung zwischen Claudia Fanelli und Francesco Veleno einleitet: zwei ungewöhnliche Jugendliche aus Martina Franca, einer kleinen Gemeinde Apuliens, aneinander gefesselt durch das geteilte Schicksal als »Spatriati«, »wie man hier die Unbestimmten nennt, die aus der Art Schlagenden, die, die sich nicht einordnen lassen, manchmal auch die Spinner […]«.
Während Claudia in London, Mailand und Berlin ihr Glück sucht, um den provinziellen Zwängen und patriarchalen Strukturen ihrer Heimat zu entkommen, entscheidet sich Francesco für ein Leben vor Ort, bleibt seinen apulischen Wurzeln und katholischen Traditionen treu, ohne je seine sexuellen Neigungen öffentlich auszuleben. Obwohl das Leben beider Freunde nicht unterschiedlicher sein könnte, ist es das wiederkehrende Gefühl ihrer Einsamkeit, das sie für immer verbindet.
 
Mario Desiati gelingt nicht nur ein spannender und feinfühliger Coming-of-Age-Roman, der die provinzielle, mitunter raue Lebenswelt Süditaliens sowie die Schicksale der Ausgewanderten dokumentiert. Sein Buch, das 2022 in Italien den wichtigsten Literaturpreis (Premio Strega) gewann, ist darüber hinaus eine äußerst gelungene und zeitgemäße Erzählung über das sich selbst in der Fremde suchende Individuum.
Endlich wieder ein Autor, der seinen Figuren Wahrhaftigkeit verleiht, der gefühlvoll-authentische Dialoge schreibt und den Leser / die Leserin zeitgleich in die blühende Landschaft Italiens entführt. Zum Schluss vielleicht mit der Erkenntnis: »Das Leben, das man verpasst hat, ist immer besser als das tatsächlich gelebte.«
 
Chris