Kim de l’Horizon – Blutbuch

Der Titel Blutbuch steht für eine tatsächlich existierende Blutbuche im großmütterlichen Garten der Hauptfigur, aber auch für ein Synonym von Stammbaum und schließlich für etwas undefinierbar Körperliches, denn auf Schweizerdeutsch heißt „Buch“ eben auch Bauch. Womit wir mittendrin sind im Roman vom Kim de l’Horizon, in dem „das Kind“ mit seinen Eltern im schweizerischen Winterthur aufwächst, viel Zeit aber auch bei seiner Großmutter verbringt.
„Meer“ und „Großmeer“ (abgeleitet vom französischen „mère“) spielen die Hauptrollen in dieser Erzählung, bei deren Entstehung man als Leser*in dabei ist. Es ist der Versuch, sich durch Eindringen in die Welten der Mutter und Großmutter ein Bild der eigenen Existenz zu machen, durch das Erforschen der Ahninnen eine eigene Bestimmung zu finden. Dabei geht es vorerst um die Entstehung eines Körpers, der dem Kind fehlt, ja, um die Definition seiner Außengrenzen, um sich gegen die Vehemenz der Großmutter („Monster“) und die Abweisung der Mutter („Eis“) wehren zu können.
Der rotbelaubte Baum im Garten steht ihm oft als real existierendes Wesen zur Seite und wird deshalb zum Gegenstand einer fast manischen Recherche im Weiteren Verlauf des Romans. Es ist auch eine Erzählung von Klassen-Verrat, den die Hauptfigur empfindet, als sie als junger Mensch aus der geistigen Enge des elterlichen Hauses flieht und zum Studieren in die Großstadt zieht. Dort wird das KIND zum schwulen BEEFCAKE, der keine körperlichen Exzesse auslässt, um später im Roman die Gewissheit über die geschlechtliche Identität wieder zu verlieren. Neben der Nonbinarität spielt der KÖRPER durchaus eine Rolle. Es gibt Sex-Szenen, die an Dringlichkeit, Brutalität und Haptik ihres Gleichen suchen, aber mit einer Virtuosität geschrieben sind, dass es einem dem Atem raubt.
Überhaupt steht in diesem Roman die Sprache an allererster Stelle. Sie ist Mittel zum Zweck für die intellektuelle Bewältigung alles Unkontrollierbaren und Undefinierten. Schweizerdeutsch, Hochdeutsch, Französisch und auch lange Passagen auf Englisch kommen im Roman vor, und manchmal verliert sich die Sprachgewandtheit von Kim de l’Horizon auch in der Vielzahl ihrer Register.
Blutbuch, als Brief an die Großmutter der Hauptfigur gerichtet, ist das Zeugnis der Bewusstwerdung des eigenen, sich den gesellschaftlichen Normen entziehenden ICHs. Wir Leser*innen nehmen mit Staunen, Bewunderung und emotionaler Verwicklung daran teil.
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