Hanya Yanagihara – Zum Paradies

Endlich ist es also da. Nach 5 Jahren erscheint heute das neue Buch der Autorin und Journalistin Hanya Yanagihara, und man sollte vielleicht vorweg sagen: Dieses Buch ist kein Trauma-Reigen wie „A Little Life“. Stattdessen wird man hier mit 3 Büchern in einem belohnt, drei in sich geschlossene Teile, die auf den ersten Blick wenig miteinander gemeinsam haben, außer dass ein bestimmtes Haus am New Yorker Washington Square im Zentrum der Geschichten steht und sich die Namen der Protagonist:innen in jedem Teil wiederholen.

Buch 1: Washington Square ist das Buch, von dem man sich wünschte, Henry James hätte es geschrieben. Eine klassische Marriage Story in einem etwas anderen, utopischen Amerika anno 1893. Der Staat New York hat sich in der Vergangenheit als Freistaat abgespalten, denn hier ist gleichgeschlechtliche Liebe in der Gesellschaft offiziell und vollkommen legitimiert. Als der Protagonist David ins heiratsfähige Alter kommt, wird er von dem Witwer Charles umworben. Eine strategische Partnerschaft, die beiden Familien zugutekäme, bis die Liebe in Form eines nicht standesgemäßen Klavierlehrers dazwischenfunkt.  Und plötzlich scheint der Freistaat doch gar nicht mehr so frei zu sein.

Buch 2: Lipo-Wao-Nahele. Yanagihara spielt auch hier wieder mit einer literarischen Form, dem Stream of Consciousness. Die Handlung spielt an einem Abend im Jahr 1993. Der junge David (gleicher Name, neuer Charakter) lebt mit dem deutlich älteren Charles zusammen. Sie richten eine Abschiedsfeier für Charles besten Freund Peter aus, der am nächsten Tag in die Schweiz fliegen wird, um seinem Leben ein Ende zu setzen. Peter ist unheilbar an Krebs erkrankt, und HIV schwebt wie ein Damoklesschwert über dem Paar und seinen Freunden. David erhält einen Brief, der ihn aus der Fassung bringt und mit dem er sich am Ende des Abends zurückzieht. Er ist von seinem hawaiianischen Vater, und wir erfahren in diesen Zeilen, wer David wirklich ist. Und dass selbst das schönste Paradies auf Erden zu einer inneren Hölle werden kann.

Buch 3: Zone 8 ist vielleicht das eindringlichste Buch, weil es das Jahr 2093 in einer Art und Weise zeichnet, die nach den Ereignissen der vergangenen Jahre erschreckend plausibel erscheint. Klimakatastrophen und tödliche, langjährige Pandemien haben die Welt maßgeblich verändert (und die Bevölkerung dezimiert). Die USA sind zu einem totalitären Staat geworden und in Zonen aufgeteilt, das Leben der Menschen wird streng durch den Staat reguliert. Die Menschen können ihre Wohneinheiten nicht ohne einen speziellen Hitzeanzug verlassen. Der Protagonistin Charlie, Enkelin des renommierten Wissenschaftler Charles, entgleitet zunehmend ihr Leben. Warum, erfahren wir aus den Briefen ihres verstorbenen Großvaters an seinen besten Freund Peter.

Was sehr nach einem Kommentar zur aktuellen Pandemie aussieht, wurde geschrieben, bevor Corona überhaupt in unsere Leben trat. Auslöser für den Roman war vielmehr der Amtsantritt Trumps 2017 und die Überlegung was wäre, wenn die USA zu einem totalitären Staat werden würden. Aus diesem Grund ist To Paradise ähnlich nachhaltig verstörend wie es „A little life“ war. Hier geht es nicht um das Trauma des einzelnen, sondern vielmehr kollektives Trauma und seine Folgen. Yanagihara wirft Fragen auf, die nicht wirklich beantwortet werden, aber eine erstaunliche Aktualität aufweisen: Wie sehr bin ich bereit zu verzichten, wenn es dem Wohle anderer dient? Und was bedeutet Freiheit?