Annika Büsing – Nordstadt

Nordstadt von Annika Büsig ist eine sehr berührende Liebesgeschichte. Und dennoch ist sie das Gegenteil einer Schnulze. Weder die Sprache noch der Inhalt sind lieblich oder gefühlsduselig, denn Nene, aus deren Sicht dieses Buch geschrieben ist, hat früh erlernt, ihre Emotionen zu unterdrücken. Sie wuchs in prekären Verhältnissen auf, ihre Mutter starb, ihr Vater war alkoholsüchtig und gewalttätig, mit 17 wurde sie vergewaltigt… Der einzig sichere Ort ist und war für sie immer nur das Schwimmbad, in dem sie nun als Bademeisterin arbeitet.

Dort lernt sie Boris kennen. Der erkrankte jung an Kinderlähmung und wurde seither von den meisten entweder als „Krüppel“ abgestempelt oder bemitleidet. Die beiden verlieben sich und nähern sich an, aber leicht haben und machen sie es sich dabei nicht. Die Aussage „Degeneration größer Regeneration“ trifft nicht nur auf Boris Muskeln zu, sondern zieht sich als Motiv durch die gesamte Geschichte.

Das Buch ist so bemerkenswert, weil die Charaktere so irre stark sind. Besonders beeindruckt hat mich der authentische Ton, mit dem Annika Büsing Nene von ihrem Leben und ihrer Beziehung erzählen lässt. Nene nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, sondern teilt ehrlich, hemmungs- und schamlos ihre Gedanken und Erinnerungen mit uns.

Obwohl Boris und Nene so viel Mist erlebt haben, wollen weder sie noch das Buch unser Mitleid. Viel eher zeigt es die Stärke derjenigen, die in unseren Augen vermeintlich „am Rand der Gesellschaft“ leben, im Falle des Buches in der Nordstadt.

Beeindruckt von Nenes Kraft und dem wirklich irre guten Debüt von Annika Büsing ist: Johanna.