A. L. Kennedy – Als lebten wir in einem barmherzigen Land

Wenn man einen der Wesenszüge nennen müsste, der die Engländer für uns Kontinentale noch rätselhafter und faszinierender macht, ist es der allgemein verbreitete Anspruch, lustig zu sein. Proper funny, also wahrhaft komisch zu sein, das ist klassenübergreifend, zeugt es doch von Intuition und Spaß an der Herausforderung, aber auch davon, dass man verstanden hat, dass es meistens das einzige ist, das einen überleben lässt.
A. L. Kennedy hat mit Anna McCormic eine selbstironisch-tragisch-komische Hauptfigur geschaffen, die während der Corona-Pandemie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben hat. Sie hat sie für uns Leser*innen aufgeschrieben, damit wir verstehen, dass die Barmherzigkeit die Grausamkeit der heutigen Zeit besiegen kann.
Ihr Bericht ist einerseits die Erzählung ihrer Jahre als Mitglied einer gegen den Thatcherismus demonstrierenden Theatergruppe und ihre damit einhergehende Befreiung aus einem gefühllosen, calvinistischen Elternhaus, andererseits die ihrer Liebe zu ihrem Sohn Paul und ihrem Freund Francis und ihrem Beruf als Lehrerin an einer reformierten Grundschule.
Parallel gibt es einen anderen Erzählstrang, den autobiographischen Bericht von Buster, einem schottischen V-Mann der englischen Polizei, der einst die Aktivist*innen rund um Anna infiltriert und vor Gericht gebracht hat. Damit wird er zu einer der (Rumpel-)Stilzchen für Anna, also die Sorte Mensch, vor der man sich hüten muss, weil sie einen mit ihrer antrainierten Unmenschlichkeit täuschen und vernichten kann. Das wiederum erklärt ihre unendliche Wut auf den englischen Staat und die daraus resultierende Entschlossenheit, sich der Unbarmherzigkeit entgegenzustellen.
In Kennedys grandiosem Roman begegnet die Stärke der Entmenschlichung der entwaffnenden Kraft der Menschlichkeit. Die Leserin kann sich gegen die Tränen der Erleichterung darüber nicht wehren, aber Gott sei Dank wird sie schleunigst durch einen beiläufigen Witz zurückgeholt in eine kleine Gruppe von Menschen, die in der Abgeschiedenheit des Londoner Lockdowns einen unverhofften Frieden gefunden hat.